Eine Spurensuche von GM G. Hertneck

Der Meldetermin 1. Mai 2016 ist für den aufstrebenden Münchener Verein MSA Zugzwang ein Datum, das sich in die Vereinsgeschichte einprägen wird, denn erstmals gelang es den tapferen Recken der Ersten Mannschaft, in die höchste Spielklasse, also die legendäre 1. Schachbundesliga aufzusteigen.

Der Verein wurde 1982 von einem engagierten Häuflein Münchner Amateure gegründet, die ihrem Geisteskind erfreulicherweise zum Teil bis heute die Treue halten. Die Chronik führt aus, dass es neben dem prägnanten Namensvorschlag „Zugzwang“ auch andere Vorschläge gab, so wie Schluckzwang (nein, hier ist nicht die Spucke gemeint), doch das ist Geschichte.

Für den Verfasser dieser Zeilen beginnt die Annäherung an diese Instanz mit Münchner Lokalkolorit etwa 15 Jahre später, als er sich nach einem Wohnungswechsel nach einem passenden Verein an der Isar umschaute, und alsbald auf ein gemütliches Lokal an der Fraunhoferstraße namens Isargrill verfiel. Und in ebendiesem Lokal residierte ein sympathischer kleiner Schachverein, der ihm auf Anhieb taugte. Legendär war dort nicht nur das lustige Vereinsleben, sondern zum Beispiel auch die spanische Händelpfanne, die in viel Knoblauch gebraten wurde, und sehr gefragt war. Damals (im Jahre 1997) war der Großmeister Hertneck spielerisch zwar noch für den TV Tegernsee tätig, und das sollte die nächste Dekade auch so bleiben. Doch da der Tegernsee von meiner Heimatstadt München ungefähr so weit weg liegt wie der FC Bayern vom TSV 1860, bot es sich an, jeden Freitag Abend drei Straßenbahnstationen Richtung Isar zu fahren, und dort einen gelungenen Abend zu verbringen. Auch das Nachtleben kam dabei nicht zu kurz, denn nebenan befand sich mit der Schoppenstube ein weiteres Lokal, in dem der harte Kern des Vereins ab Mitternacht untertauchte, und nie mehr gesehen ward – jedenfalls nicht bis zum nächsten Morgen… Damals spielte die 1. Mannschaft in der Bezirksliga, und die Heimspiele fanden in einem winzigen Nebenraum (im Bild) statt.

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Alte Zugzwang-Zeiten: im Bild der Nebenraum des Isargrills. Ganz rechts der heutige
1. Vorsitzende Dr. Herbert Gstalter. Sitzend links der zweite Vorsitzende Berthold Karcher.

An dieser Stelle sei verraten, dass auch die in München inzwischen allgegenwärtige Gentrifizierung nicht spurlos am Ort des Geschehens vorüberging, denn etwa 10 Jahre später wurde die Gaststättenpacht so drastisch erhöht, dass der Wirt aufgeben musste, ein neues In-Lokal einzog, und der Verein das langjährige Spiellokal verließ, und sich in der Folge mehrfach auf Wanderschaft begab. Trotzdem ist die alte Heimat direkt an der Isar bis heute in den Köpfen vieler Altmitglieder präsent.

Professionelle Ambitionen hatte der Verein damals nicht, doch dies änderte sich schlagartig durch einen Zeitsprung in das Jahr 2009. Was war geschehen? In der Bundesliga hatte sich der bis dahin unermüdliche Horst Leckner vom TV Tegernsee entschieden, einen Strategiewechsel vorzunehmen (Gründung der Schachschule Miesbach-Tegernsee), und die langjährige Bundesligamannschaft vom Spielbetrieb abzumelden - und so waren (unter anderem) die Großmeister Kindermann und Hertneck sowie IM Bromberger auf der Suche nach einem neuen Verein. Während Stefan Bromberger zum FC Bayern wechselte, entschieden sich Kindermann und Hertneck für Zugzwang, wo die 1. Mannschaft gerade in die Landesliga, also in die vierthöchste Spielklasse aufgestiegen war. Doch damit nicht genug: Gerry Hertneck übernahm auch die Mannschaftsführung, was über kurz oder lang dazu führte, dass der Aufstieg in höhere Spielklassen auf Dauer nicht mehr zu stoppen war.

An dieser Stelle muss unbedingt erwähnt werden, wie aus dem MSC Zugzwang (also Münchner Schachclub) der MSA Zugzwang wurde. Dieser eine Buchstabe macht in der Tat einen Riesenunterschied aus, denn die Abkürzung MSA steht für die damals neu begründete Kooperation mit der Münchner Schachakademie. Der Deal lautete hierbei in Kürze wie folgt: Die Schachakademie empfiehlt ihren Kunden in erster Linie Zugzwang als Schachverein. Dadurch erhöhte sich die Mitgliederzahl tatsächlich innerhalb weniger Jahre von 50 auf 100. Auch wurde ein Jugendtraining unter Leitung des Schachtrainers Felix Brychcy aufgebaut, das seither kontinuierlich stattfindet, und gute Erfolge erzielt hat – seit Jahren sind etwa 30 Kinder und Jugendliche Mitglied im Verein. Am wichtigsten aber war die Zusammenarbeit für die Entwicklung der Ersten Mannschaft: mit dem Münchner Immobilienunternehmer Roman Krulich - der selbst begeisterter Schachspieler ist - wurde eine Kooperationsvereinbarung geschlossen, die die Verstärkung der 1. Mannschaft zum Ziel hatte. Zugleich wechselte Roman auch als Mitglied in den Verein, und spielte dort überwiegend für die zweite Mannschaft. Neues Spiellokal für die Heimkämpfe wurden damit die Räume der Münchener Schachakademie:

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Es ist aufgebaut: alles steht für den Heimkampf in den Räumen der Münchener Schachakademie bereit!

Der Mensch denkt, doch Gott lenkt – lautet ein deutsches Sprichwort, und so gelang trotz der beiden neu verpflichteten Großmeister an den Spitzenbrettern der ersehnte Aufstieg in die bayerische Oberliga erst in der Saison 2010/11 - doch als Belohnung für das lange Warten gelang in der Folgesaison 2011/12 auch gleich der Aufstieg in die 2. Bundesliga. Natürlich wurde unsere Aufgabe hier nun immer schwieriger, und ohne unseren Neuzugang Stefan Bromberger (den wir zum Glück vom FC Bayern abwerben konnten) hätten wir es nicht geschafft, uns weiter vorne zu positionieren. Und dennoch mussten wir aufstiegstechnisch in unserer ersten BL2-Saison mit großem Abstand dem Lokalrivalen FC Bayern den Vortritt lassen, in unserer zweiten BL2-Saison dem USV TU Dresden, und schließlich in der dritten - in einem wahren Photofinish - dem Erfurter SK. Dann endlich in der Saison 2015/16 klappte es, nachdem unser größter Konkurrent, der SK Göggingen, der uns vernichtend geschlagen hatte, und eigentlich schon fast durch war, kurz vor Schluss mehrfach strauchelte. Bis heute ist mir ehrlich gesagt unklar, ob das Schicksal es dabei gut oder böse mit uns meinte!

Und natürlich wurde auch unser Spiellokal bei den Heimkämpfen immer edler, wie das folgende Bild illustriert:

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Die Heimrunde der 1. Mannschaft in der repräsentativen Aula der Kerschensteiner Berufsschule im Münchner Lehel im November 2013.

Doch nun ist es endlich an der Zeit, die Spieler der 1. Mannschaft kurz vorzustellen.

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Im Bild die 1. Mannschaft von Zugzwang auf der Siegesfeier nach der Schlussrunde in Leipzig. Links vorne der alte Käptn Gerry Hertneck, rechts vorne der junge Käptn IM Markus Lammers.

 

An Brett 1 GM Stefan Bromberger, aktuell etwa Nummer 600 der Weltrangliste. Unser Topscorer der letzten Saison mit einer Performance von 2666. Hat schon viele starke Großmeister geschlagen, und verblüfft immer wieder - sowohl durch seine tiefen Eröffnungskenntnisse als auch durch seine gewaltige Kombinationskraft.

An Brett 2 GM Stefan Kindermann, Geschäftsführer der Münchener Schachakademie und langjähriger Nationalspieler sowohl in der deutschen als auch österreichischen Nationalmannschaft. Spielte bereits 30 Jahre lang in der 1. Bundesliga, davon die längste Zeit beim FC Bayern und beim TV Tegernsee! Stellt immer wieder unter Beweis, dass er extrem schwer zu schlagen ist.

An Brett 3 GM Gerald Hertneck, ehemalige Nummer 50 der Weltrangliste, langjähriger Mannschaftsführer. Miteigentümer der Münchner Schachakademie und beruflich als Projektleiter bei der Stadt München tätig. Ehemaliges Mitglied der Meistermannschaft des FC Bayern. Später beim MSC 1836 und für den TV Tegernsee am Brett aktiv. Hat sich bis vor 10 Jahren auch im Bundesliga e.V. engagiert.

An Brett 4 IM Robert Zysk, der sich nach einem längeren beruflich bedingten Auslandsaufenthalt sich wieder dauerhaft in Bayern niedergelassen hat. Spielte früher für den MSC 1836 und die SG Solingen in der 1. Bundesliga. Eines aber sei verraten: sein Lieblingswort ist nicht „Zugzwang“, sondern „Zeitnot“…

An Brett 5 FM Erasmus Gerigk, der durch sein kompromissloses und unermüdliches Spiel auf Sieg (komme später zum Mannschaftsessen nach…) zur Stütze im Mittelfeld wurde. Lässt sich trotz Konkurrenz von Familie und Beruf das Schach spielen nicht nehmen. Beruflich bei einer großen Münchner Versicherung tätig.

An Brett 6 IM Markus Lammers. Der Münchner Jurist spielte zuvor bereits für den Delmenhorster SK in der Bundesliga. Erklärte sich dankenswerterweise bereit, die Mannschaftsführung zu übernehmen.

An Brett 7 FM Christoph Eichler, der in jungen Jahren bereits für den MSC 1836 in der 1. Bundesliga spielte – doch das ist 20 Jahre her. Was ihm noch zum Glück fehlt, ist der Titel des Internationalen Meisters – und so hofft er fest auf seine IM-Norm in der kommenden Saison. Auch er ist als Jurist in München tätig.

An Brett 8 FM Falk Hoffmeyer, der früher für Magdeburg in der 2. Bundesliga gespielt hat, und vor ein paar Jahren zu Zugzwang wechselte. Ohne ihn wären wir wohl nicht in die 1. Liga aufgestiegen, denn er spielte heuer wie entfesselt, und machte Punkt um Punkt. Danke Falk!

An Brett 9 Peter Panteleev, unser Nesthäkchen, gebürtig aus Bulgarien, wohnt aber schon seit längerem in München. Spielte früher beim Lokalrivalen SC Tarrasch, doch dann fiel dort die erste Mannschaft auseinander. Erklärte uns diese Saison anhand einer Drachen-Partie, wie man Schach in Bulgarien spielt…

Natürlich war uns klar, dass wir uns für die 1. Liga noch ein bisschen verstärken mussten, und so ist aktuell von zwei Neuzugängen zu berichten: 

 

Von Dortmund wechselt zu uns IM Leon Mons, ein aufstrebender Nachwuchsspieler, der in der laufenden Saison eine Performance von über 2500 erzielt hat. Spielte auch bereits für Forchheim in der 1. Bundesliga. Hofft natürlich auf eine GM-Norm in der kommenden Saison.

Von Forchheim aus verstärkt uns FM Christian Schramm. Mit seiner Elozahl von 2390 steht er knapp vor der Schwelle zum Internationalen Meister. Sein Spiel ist recht kompromisslos, was ich am eigenen Leib erfahren habe, als er in einem Mannschaftskampf bei Salzburg ein Remis gegen mich ablehnte, und wenig später auf Gewinn stand!

Ja liebe Freunde, merkt wohl auf: wir haben uns entschieden, nicht das Legionärsmodell anzustreben, wie so viele andere Vereine. Nein, wir wollten uns nur maßvoll verstärken, und auch alle jetzigen Stammspieler am Erfolg teilhaben lassen. Es ist uns natürlich bewusst, dass es ein schwerer Gang für uns werden wird, genau wie für so viele vor uns. Und doch gehen wir mit voller Überzeugung als klassischer underdog die Herausforderung an. Wir möchten gerade nicht unsere Prinzipien verraten, denn wir sind und bleiben ein bodenständiger Münchner Verein, der gerade Höhenluft schnuppert, sich aber nicht als Gipfelstürmer sieht. Und so stellt sich für uns eben die Frage: betreten wir mit unseren im Vergleich etwas kümmerlichen Elo-Zahlen die Treppe in den Himmel oder rasen wir auf der Autobahn in das Fegefeuer?

Nach der Saison werden wir wissen, wie viele Federn wir gelassen haben, und wie viele Träume geplatzt sind - aber auch, wer in der Mannschaft über sich hinausgewachsen ist, und stolz seine Ziele erreicht hat. Nun ja – es sei verraten, auch dank unseres traditionell guten Mannschaftsklimas haben wir uns festen Mutes entschlossen, die Herausforderung anzunehmen, und neue Erfahrungen zu sammeln!

Der abschließende Dank gebührt unserem treuen Sponsor, der uns nun schon viele Jahre begleitet, und ohne den dieser für den Verein historische Schritt nicht möglich gewesen wäre!

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